Diese Frage ist eine wichtige, und Antworten darauf existieren so viele wie es Menschen gibt. Wir sehen die Dinge in unserer Umwelt immer durch unsere eigenen Augen. Wir interpretieren die vom Gehirn erfassten visuellen Informationen vor dem Hintergrund unserer individuellen Erfahrungen. Und wir haben unsere eigenen Worte, um das Wahrgenommene zu beschreiben. Mit ihnen können wir eine Brücke schlagen, um unsere innere Vorstellungswelt mit anderen zu teilen.
Der Erlebnisraum SEHEN sollte vor allem ein Gesprächsraum auf dem Sprachfachtag des Eigenbetriebes Kindertagesstätten Halle (Saale) sein. Wo immer es etwas zu sehen gab, sollten die Besucher*innen über ihre Wahrnehmungen miteinander ins Gespräch kommen, wie z. B. an der Station „Tausendmal blau“. Das Wort „blau“ ist nur die Spitze eines sprachlichen Eisberges, unter dem sich hunderte Wortschätze – sprich: Bezeichnungen von Blautönen zusammentragen lassen oder es sich vortrefflich darüber streiten lässt, ob ein- und derselbe Farbton als blau, grün oder doch als türkis bezeichnet werden soll. Nur wenn wir miteinander ins Gespräch kommen, erhalten wir die Gelegenheit, die Perspektive zu wechseln, Einblick in andere Vorstellungswelten zu bekommen und eine differenzierte, wortschatzreiche Sprache zu entwickeln. Besonders wertvoll sind für die alltagsintegrierte sprachliche Bildung deshalb Kinderzeichnungen. Exemplarisch für die kindlichen Kritzelphasen haben wir Kinderzeichnungen mit Hinweisen zu sprachförderlichen Fragen sowie zum gemeinsamen Geschichten erzählen ausgestellt und weitere Zeichnungen, die die Besucher*innen zum Spekulieren über die mögliche Darstellungsabsicht der Kinder einluden. Es war sehr spannend, wie weit die Interpretationen der Besucher*innen von den Aussagen der Kinder zu ihren Bildern abwichen.
Immer wieder Gelegenheit zum Perspektivenwechsel zu geben war eines der Hauptanliegen unseres Raumes, weg vom schnell dahingesagten „Das sieht man doch!“. Denn so ist es eben nie. Wie gigantisch hoch eine flach gebaute Kita in Halle-Neustadt in Kinderaugen erscheinen kann, zeigten Fotografien einiger Kinder von ihrer Kita „Gestiefelter Kater.“ Wir vergessen im Alltag mitunter, uns immer wieder bewusst auf die Augenhöhe der Kinder zu begeben, im übertragenen wie im direkten Sinn. Im direkten Sinn hilft es den Kindern vor allem, sich dank des Blickkontaktes wahrgenommen zu fühlen und anhand des Mundbildes gut in die richtige Lautbildung zu finden. Die letzte Station dieser Art bildeten extrem vergrößerte Detailaufnahmen aus dem Kita-Alltag. Diese konnten von den Besucher*innen mit farbigen Stiften zu Darstellungen konkreter Dinge, die sie in den schemenhaften Aufnahmen erkannt haben, erweitert und im Gespräch miteinander diskutiert werden. So entstand aus ein- und derselben abfotografierten Baumrinde mal ein Auge und andererseits wiederum ein Boot.
Der zweite Schwerpunkt des Raumes SEHEN lag auf einer ausgedehnten Materialsammlung zur alltagsintegrierten Sprachförderung; u. a. mit Brett-/Würfelspielen zur visuellen Wahrnehmung und einer vor Ort am Overheadprojektor auszuprobierenden Verssammlung zum Sprechzeichnen, bei welchem das Kind rhythmisches Sprechen im Einklang mit rhythmischem Zeichnen vollzieht. Dieses Prinzip wird sicherlich auch jeder/m Erwachsenen noch vom „Haus des Nikolaus“ her bekannt sein.
Zum Ausprobieren sprachbegleitender Gebärden, die Kinder in der Entwicklung der Lautbildung unterstützen, lag das Grundwortschatz-Material GuK (gebärdenunterstützte Kommunikation) von Etta Wilken aus. Sie entwarf es ursprünglich für Kinder, deren lautsprachliche Entwicklung verzögert ist. Dabei fiel den BesucherInnen auf, dass einige Gebärden im Alltag schon vorhanden sind und es gar nicht so schwer ist, sich einige Vokabeln zu merken. Gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund können Gebärden eine Hilfe darstellen, um Sprachbarrieren abzubauen.
Autorinnen: Ria Döring und Steffi Nguyen