Das Herzstück des Fachtag-Vormittages war die Rede der Sprachberaterin Anja Matzke-Hellem. Die Diplomierte Sprechwissenschaftlerin arbeitet bereits seit Beginn des Vorgängerprojektes „Frühe Chancen – Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration“ 2011 in der Kita Froschkönig.
Die Worte von Frau Matzke-Hellem trafen nicht nur emotional das Empfinden der Projektbeteiligten, sondern auch fokussierten auch klar die Qualität des Projektes und die politisch notwendigen Veränderungen.
Wir danken Frau Matzke-Hellem, dass Sie uns die Rede zur Veröffentlichung zu Verfügung gestellt hat.
Was ist ein Sprachberater?
Ein Sprachberater ist, ganz oberflächlich betrachtet, eine Projektidee vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Der Bund startete 2011 ein Projekt, in dem die Sprache im Mittelpunkt stand. Das Projekt hieß „Schwerpunkt-Kita Sprache und Integration“ und war mit zusätzlichem Geld für die Kita und der Funktionsstelle „Sprachberater“ verbunden.
Der Eigenbetrieb Kindertagesstätten Halle (Saale) hatte sich bewusst dafür entschieden, die Stellen für seine am Projekt beteiligten Einrichtungen extern auszuschreiben, d.h., keine Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter aus den Reihen der Kitas dafür zu nehmen. Der Hauptgrund lag darin, dass alle pädagogischen Fachkräfte in einer Kita bereits in Prozessen stecken und dass die Chance, mit einer kitaunabhängigen und völlig neuen Professionalität etwas zu verändern, größer ist. Dieser Linie ist der Eigenbetrieb bis heute treu geblieben. Alle Sprachberater und Sprachberaterinnen sind ganz neu eingestellt.
Das, was uns gleich am Anfang, bei mir persönlich vor 7 Jahren, am härtesten getroffen hatte, war die Erkenntnis:
Diese Kitas brauchen mehr Räume, weniger Kinder und mehr pädagogische Fachkräfte – aber keine Sprachberater. Was sollen wir hier?
Im Leitfaden des Projektes stand unter „Aufgaben des Sprachberaters“ leider NICHT:
- Bitte helft, wenn aufgrund von Krankheit kaum noch ein Erzieher im Haus ist,
- wenn die Räume überquellen vor Kindern,
- wenn es deswegen so laut ist, dass man sein eigenes Wort kaum verstehen kann
- und dort stand auch nicht: rettet die überlasteten Erzieher und Leitungen, die hilflosen Eltern und die überreizten Kinder in diesen Kitas.
Hätte das in dem Leitfaden gestanden, hätten wir sofort unsere Rolle als Sprachberater in der Kita finden können.
Es gibt zwei Worte, die meine Gefühle von damals sehr gut beschreiben:
Wut und Hilflosigkeit.
Das, was die Kitas brauchten und immer noch brauchen, war bzw. ist etwas viel Substantielleres, etwas, das entlastet – aber keine zusätzlichen Aufgaben, die ein Sprachberater so mit sich bringt.
Wo sollten wir da also anfangen?
Wir haben in der ersten Zeit sehr, sehr viele Gespräche geführt. Gespräche, in denen wir versucht haben zu klären, zu definieren, zu füllen, zu überlegen, was wir daraus für den Eigenbetrieb entwickeln können. Es waren Gespräche mit den Teams, den Leitungen, mit der Verwaltung, mit dem Personalrat - mit allen vom Träger, die irgendwie mit diesem Projekt zu tun hatten.
Wir haben mit Kinderärzten gesprochen, mit Frühförderstellen.
Wir haben Briefe geschrieben - an den OB, das Land, den Bund, an die Regiestelle, die in Berlin damals das Projekt betreut hatte.
Wir haben die Regiestelle eingeladen, um ihnen zu zeigen, was an der Basis so los ist.
Wir hatten uns von uns aus mit anderen Kitas vernetzt, also mit Kitas von anderen Trägern, die auch im diesem Projekt waren.
2014 organisierten wir auch so einen Sprachfachtag, um den Kolleginnen und Kollegen vor allem zu zeigen – hej, ihr seid nicht allein!
Stück für Stück haben wir das Projekt mit Inhalt gefüllt, Stück für Stück haben wir immer wieder erklärt, dass wir keine Erzieher sind, sondern eine andere Idee verfolgen, verfolgen sollen.
Und es hat sich gelohnt. Wir haben etwas aufgebaut.
Ich denke, dass wir im ersten Projekt „Schwerpunkt-Kita Sprache und Integration“ tatsächlich ein Fundament geschaffen haben, auf dem das zweite Projekt „Sprach-Kita“ jetzt aufbauen kann. Denn es hätte auch schief gehen können – und manchmal standen wir auch kurz davor. Es hätte schief gehen können, sodass Kita und Verwaltung sagen – nein, bei dem neuen Projekt bewerben wir uns nicht mehr. Das funktioniert nicht.
Aber ganz im Gegenteil: Wir sind zum heutigen Tag 14 Sprachfachkräfte im Eigenbetrieb. Und das ist ein Erfolg.
Unser Projekt „Sprach-Kita: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ bedeutet für mich in einem Wort zusammengefasst: Veränderung. Veränderung mithilfe des Phänomens ‚Sprache‘. Mit jedem neuen Wort, das Sie benutzen, um ihre Aussage noch deutlicher zu formulieren und mit jedem zusätzlichen Gespräch, das Sie führen, sei es mit Kindern oder mit Erwachsenen, verändern Sie etwas. Und dabei unterstützen wir Sprachfachkräfte Sie.
Und genau das macht dieses Projekt so sinnvoll, lohnenswert und wichtig. Genau das macht dieses Projekt so anstrengend, so emotional und so persönlich.
Unser Sprachfachtag heute ist für mich so eine Art Symbol für dieses Projekt. Dazu ein Bild – stellen Sie sich Folgendes vor:
Die Sprachfachkraft bereitet einen Fachtag vor und ist deswegen nicht in der Kita oder sitzt in der Kita an ihrem Computer, während die eigene Kita gerade ums Durchhalten, noch schärfer formuliert: ums Überleben kämpft.
Sie glauben nicht, wie – Entschuldigung - doof sich das für uns Sprachfachkräfte anfühlt, nicht helfen zu können, weil man sich gerade um etwas völlig anderes kümmern muss, das direkt mit der Kita nichts zu tun hat, aber mit Termindruck verbunden ist. Und ich kann es sehr gut verstehen, dass Sie, liebe pädagogische Fachkräfte, es nicht verstehen, wieso die Sprachfachkraft schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt ist, als in der Kita mit zu helfen. Diese Situationen gibt es im Projekt immer wieder, diese Situationen hatten wir gerade in der zurückliegenden Zeit oft.
Und genau deswegen haben wir Sie eingeladen. Der Eigenbetrieb setzt damit ein Zeichen, dass „Sprach-Kita“ innerhalb des Trägers mehr als ein Projekt ist, das ‚nur‘ in den einzelnen Kitas abläuft. Das Projekt ist nämlich auch eine Plattform bzw. eine Chance, mal über seinen Arbeitstellerrand schauen zu können. Und das ist wichtig. Das gibt es aus finanziellen und zeitlichen Gründen viel zu selten. Aber es gehört unbedingt dazu, damit sich etwas verändern kann.
Dass der Eigenbetrieb unser Projekt genau dazu auch nutzt, spricht für eine hohe Qualität in der Umsetzung des Programmes. Er ermöglicht mit diesem Fachtag einen Austausch auf einer viel größeren Ebene, als es in den Kitas geschehen kann und das - da wiederhole ich mich ganz bewusst - ist verdammt wichtig. Genauer – um in der Projektidee zu bleiben – es erweitert unser Verständnis von Sprache.
Wir Sprachfachkräfte haben für heute einige Ideen zusammengetragen, die zum Phänomen Sprache dazugehören. Es sind bei Weitem nicht alle, aber es sind deutlich mehr, als wir es aufgrund der vielen Herausforderungen vor Ort in den Kitas schaffen, anzusprechen. Nehmen Sie sich aus unseren Ideen etwas mit, das Sie gut für ihre Arbeit gebrauchen können.
Und: Wenn sie noch zweifeln, was unser Sprachprojekt betrifft, dann wünsche ich Ihnen Mut, sich darauf einzulassen. Bitte, nutzen Sie die Chance! Vielleicht ist für Sie unser heutiger Fachtag ein Motivationsschub.
Und: Wenn Sie schon mittendrin sind, dann wünsche ich Ihnen Kraft und Freude und vor allem Geduld, weiterzumachen. Wir haben jetzt noch 1 ½ Jahre vor uns, nutzen wir diese Zeit! Es lohnt sich.
Und für unsere Gäste, die nichts mit dem Projekt zu tun haben – ich denke, dass auch Sie heute etwas finden, was ihre Arbeit inspirieren kann.
Einen letzten Gedanken muss ich noch loswerden, da Kolleginnen aus der Servicestelle aus Berlin heute da sind (die Servicestelle koordiniert das Projekt)
Und vielleicht fühlt sich unter Ihnen noch Jemand angesprochen:
Ich bitte Sie, dass Sie uns Bescheid sagen, wenn wir hier aus Halle irgendetwas tun können, um dabei zu helfen, dass das Projekt nach Projektende weitergeht. Mehr noch, dass der Sprachberater bzw. die Sprachfachkraft ein richtiger Beruf bzw. eine dauerhafte Funktionsstelle in Kitas werden könnte und nicht irgendwann zum Projektende als eine Projektidee abgehakt wird.
Denn diese Idee mit der Sprach-Kita ist eine wunderbare, finde ich, und könnte ein Anfang sein, dass sich, wenigstens erst einmal für Kitas mit zunehmenden besonderen Herausforderungen in Brennpunkten, wirklich was verändert.